Infarktrisiko: Stalking geht ans Herz

 Stalking hinterlässt nicht nur seelische Wunden. Eine große Studie zeigt: Frauen, die gestalkt werden oder sogar eine einstweilige Verfügung gegen den Täter beantragen müssen, entwickeln Jahrzehnte später deutlich häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.



Stalking – ein kaum beachteter Risikofaktor

Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten als Volkskrankheit Nummer eins – Bluthochdruck, Übergewicht und Rauchen sind bekannte Risikofaktoren. Doch die neue Analyse auf Basis der renommierten Nurses’ Health Study II lenkt den Blick auf eine ganz andere Gefahr fürs Herz: Gewalt in Form von Stalking.

Und das betrifft viele Menschen: 18 Prozent der Frauen und vier Prozent der Männer in der Europäischen Union haben Umfragen zufolge Stalking erlebt. Rund 80 Prozent der Stalker und Stalkerinnen sind aktuelle oder ehemalige Partner oder Partnerinnen – oder Bekannte.

„Stalking wird oft als eine Form der nicht physischen Gewalt angesehen, weshalb es häufig weniger ernst genommen wird“, sagt Studienerstautorin Rebecca Lawn von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston. „Unsere Ergebnisse legen jedoch nahe, dass Stalking nicht verharmlost werden sollte.“


12 Prozent berichten von Stalking-Erfahrungen

Für die Untersuchung wertete das Forschungsteam Daten von 66.270 Krankenschwestern aus, die zwischen 36 und 56 Jahre alt waren. Alle waren zu Beginn frei von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Für die Studie wurden auch weitere körperliche und psychische Gesundheitsdaten in großem Umfang erhoben. Dabei machten die Frauen auch Angaben dazu, ob sie im Verlauf ihres Lebens gestalkt worden waren.


Das Ergebnis:

  • 11,7 Prozent der Frauen berichteten, schon einmal gestalkt worden zu sein.
  • 5,6 Prozent hatten aus diesem Grund sogar eine richterliche Verfügung zur Kontakteinschränkung erwirkt.


Im Beobachtungszeitraum von 20 Jahren entwickelten 1.879 der teilnehmenden Frauen (2,8 Prozent) eine Herz-Kreislauf-Erkrankung.

Das Risiko war dabei ungleich verteilt: Gestalkte Frauen hatten ein um 41 Prozent höheres Risiko, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln, als Teilnehmerinnen ohne Stalking-Erfahrung.


Wie belastet Stalking das Herz?

Die Forschenden gehen davon aus, dass chronischer Stress der entscheidende Mechanismus ist, der bei Stalking-Opfern das Risiko für Herz-Kreislauf -Erkrankungen erhöht.

Dauernde Angst aktiviert das Stresssystem des Körpers, erhöht Blutdruck und Puls und fördert Entzündungsprozesse. Auch ungesunde Stressbewältigungsstrategien – etwa Rauchen oder Bewegungsmangel – könnten eine Rolle spielen.

„Häufige, aber bislang wenig beachtete Formen von Gewalt scheinen ein eigenständiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sein und sollten in Forschung und Gesundheitsversorgung stärker berücksichtigt werden“, schreiben die Autorinnen und Autoren.

Ein Manko der Studie: Die Angaben zu Stalking beruhen auf Selbstauskünften, was die Qualität der Daten schwächt. Auch waren die allermeisten Teilnehmerinnen weiße Frauen mittleren Bildungsniveaus. Ob die Ergebnisse auch für andere Bevölkerungsgruppen (wie andere Ethnien, andere Einkommensgruppen, Männer) gelten, muss noch geprüft werden.


Was Stalking bedeutet

Eine Umfrage des Office on Violence Against Women des U.S. Department of Justice hat umfassende Daten zum Thema Stalking zusammengetragen. Auch wenn die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf die Europäische Union übertragbar sind, verdeutlichen sie doch den großen Stress, den Stalking verursacht.

  • Fast die Hälfte der Stalking-Opfer erlebt mindestens einen unerwünschten Kontakt pro Woche.
  • 69 Prozent der weiblichen und 80 Prozent der männlichen Stalking-Opfer wurden mit körperlicher Gewalt bedroht.
  • Elf Prozent der Stalking-Opfer wurden über einen Zeitraum von fünf Jahren oder mehr gestalkt.
  • Eines von sieben Stalking-Opfern wechselt den Wohnort, um dem Stalking zu entkommen.


Stalker und Stalkerinnen wenden unterschiedliche Taktiken an, häufig mehrere davon parallel. Zu diesen Taktiken gehören:

  • Unerwünschte Telefonanrufe, Nachrichten, SMS zu jeder Tages- und Nachtzeit, auf privaten und beruflichen Kanälen
  • Unerwünschte Briefe
  • Das Opfer verfolgen oder ihm auflauern, etwa vor der Wohnung, auf der Arbeit, im Supermarkt, beim Sport
  • Ausspionieren des Tagesablaufes
  • Veröffentlichung persönlicher Daten des Opfers
  • Unerwünschte Geschenke oder Bestellung von Waren und Annoncen auf den Namen des Opfers
  • Sachbeschädigung und Einbruch
  • Dem Opfer oder seine Angehörigen drohen oder diese verleumden – insbesondere auch über die sozialen Medien
  • Im Extremfall: Belästigungen, Nötigungen, Körperverletzung


Hilfe für Stalkingopfer

Informationen und Anlaufstellen finden Betroffene und Angehörige beim Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland unter: www.frauen-gegen-gewalt.de.

Post a Comment

Plus récente Plus ancienne

ads1

ads2